Heute mal wieder ein paar Gedanken über die Sinnhaftigkeit der allgemein üblichen Herangehensweisen an körperliche Probleme. Es scheint in der Sport- und therapeutischen Welt ein unausgesprochenes Gesetz zu sein, dass ein diagnostiziertes oder empfundenes körperliches Problem, oder aber auch ein Defizit in der Leistungsfähigkeit, immer mit einer Sequenz an Übungen (oder Medikamenten) für das jeweilige Problem beantwortet werden muss. Ob es nun darum geht die Lauftechnik zu verbessern, in einer Kniebeuge besser zu werden, die Bauchmuskeln zu stärken, eine muskuläre Verhärtung in den Griff zu bekommen oder aber schmerzende Gelenke zu lösen: Das „Problem“ wird genannt und der enthusiastische Trainer oder Therapeut feuert mit Wissen und Übungen nur so um sich. Man hat für alles, und jedes Problem spezielle Übungen parat. Okay, das ist auch irgendwie normal, denn natürlich muss man den Athleten trainieren oder behandeln, doch der springende Punkt ist: wissen wir wirklich, worum es bei dem Problem eigentlich geht? Nach welchem Maßstab wählen wir unsere Maßnahmen oder zeigen wir nur Übungen, in der Hoffnung das Problem zu lösen?
Status Quo: Nahezu alle Herangehensweisen die Probleme unserer Athleten zu lösen sind neuronal gesprochen „OUTPUT“-orientiert.
Was heißt das? Output beinhaltet eigentlich jede Handlung mit der wir auf die Welt in uns (Körper) und um uns herum reagieren und betrifft und prägt somit auch unseren gesamten psychischen-, physischen und emotionalen Zustand in dem wir uns befinden. Das hört sich groß und philosophisch an, soll es aber nicht, denn es spiegelt nur die neuronale Realität wieder. Unser Nervensystem macht eigentlich nur drei Dinge: erstens, es bekommt Input über die Welt und den Körper aus allen sensorischen Organen; zweitens, alle diese Informationen werden im Gehirn zusammen integriert, interpretiert und im Anschluss darüber entschieden wie die Handlungsantwort am besten zu sein hat; im dritten Schritt wird dann diese Handlung umgesetzt – der OUTPUT wird kreiert! Von allen drei Dingen wiederum ist der Output leider der am wenigsten wichtigste. Ich muss das hier einmal mit Nachdruck sagen: ein Sprintschritt, ein Absprung, eine Kniebeuge, ein Ausfallschritt, eine Muskelverhärtung aber auch SCHMERZ oder Stoffwechselstörungen, d.h. quasi alle Symptome die wir als Trainer bearbeiten sind ein Output und können nur im Zusammenhang und in der Abhängigkeit von den eingehenden Informationen (Input) und der Entscheidung was zu tun ist (nach deren Integration und Interpretation im Gehirn) betrachtet werden.
Kleiner Exkurs: Schmerz
An dieser Stelle mache ich auch lieber noch einmal einen kleinen Exkurs, denn viele Menschen glauben noch immer, dass Schmerz ein „Input“ sei. NEIN! Die „Nozizeption“ ist der Input, d.h. die Signale die von den Schmerzrezeptoren kommen und weitergeleitet werden. Die bewusste Wahrnehmung der „körperlichen“ Schmerzen ist ein OUTPUT! „Körperlich“ wurde hier in Anführungszeichen gesetzt, weil ein Schmerzereignis, dass wir im Körper wahrnehmen nur das Ergebnis einer Entscheidung, eine Art „Meinung“ im Gehirn ist wie mit der Gesamtlage der Informationen umzugehen sei. Schmerz ereignet sich nicht im Körper und bedeutet auch nicht, dass irgendetwas kaputt ist. Umgekehrt übrigens genauso: auch wenn ein Gewebe kaputt ist bedeutet das noch lange nicht, dass es zu einem Schmerzereignis kommen muss. Schmerz ist nur eine deutliche Handlungsaufforderung etwas zu ändern, leider ohne Beipackzettel.
Klassische OUTPUT-orientierte Herangehensweisen vs. moderne neurozentrierte Herangehensweisen
Doch wieder zurück zu den körperlichen Problemen unserer Athleten. Betrachten wir die herkömmliche Herangehensweisen, dann werden für Knieschmerzen wahrscheinlich neben einer therapeutischen Behandlung der Gewebe Maßnahmen zur Kniestärkung und Stabilisierung gegeben und die motorischen und funktionellen Grundmuster aufgebaut. Bei einem Problem während der Kniebeuge kommen technikzentrierte Maßnahmen zum Einsatz, und für nicht gut funktionierende Bauchmuskeln gibt es hoch funktionelle Bauchübungen, nach neustem Erkenntnistand der Bauchfunktionsforschung. Doch Umfassen wir das Problem damit wirklich in seiner Gesamtheit? Wissen wir wirklich was hinter den Knieschmerzen steckt? Wissen wir denn was der Befund auf dem MRT-Bild eigentlich genau aussagt, und sind unsere Übungen tatsächlich effizient und die Herangehensweisen wirklich zielführend? Was heißt denn der „Knieschmerz“ eigentlich genau? Warum ist die Muskulatur verhärtet und rotiert mein Knie während einer Kniebeuge nach innen? All diese Probleme sind OUTPUT-Ergebnisse und müssen auch so betrachtet werden. Hinter all den Output-Ereignissen liegen Entscheidungen, die das Gehirn aufgrund der Datenlage und zu unserem Schutz getroffen hat. Alle Maßnahme die sich nur auf den Output konzentrieren, vernachlässigen die wirklich entscheidenden Aspekte.
Gegenüber den klassischen OUTPUT-orientierten Herangehensweisen, wie wir sie fast ausschließlich im Sport, in der Therapie und in der Medizin vorfinden, sollte es in Zukunft vielmehr um vollständigere, neurozentrierte Herangehensweisen gehen. Eine Erhöhung der eingehenden Signalqualität und eine individuelle Verbesserung der Integration und Interpretation dieser Signale/Informationen in den entsprechenden „alten“ und „neuen“ Hirnarealen sollte in den Vordergrund rücken um dann damit und dadurch den Output zu verbessern. Die einseitige Fokussierung auf den Output, kann und darf nicht losgelöst von den „Bedingungen“ betrachtet werden, die ihn erzeugt haben!
Für die Wissenschafts- und Statistikliebenden unter euch hier noch einige Fakten über Output orientierte Ansätze, die sicher schon bekannt sind: Manuell-medizinische Interventionen zeigen nur sehr geringe positive Ergebnisse; man kann Faszien durch Druck – wenn überhaupt – maximal kurzfristig beeinflussen; Dehnen zeigt nahezu keine Effekte auf die Bewegungsweite, Krafttraining (inkl. funktionelles Krafttraining und Core-Training) wirken nur eher selten positiv auf die Bewegungsqualität und spezifische sportliche Leistungsfähigkeit, mitunter sogar leistungsmindernd.
Wir müssen umdenken!
Solange wir kein klares Screening der wichtigsten Gehirnareale in die sportwissenschaftlichen, therapeutischen oder medizinischen Studien integrieren, sind leider auch sämtliche Aussagen und Ergebnisse dieser Studien nur mit großem Vorbehalt zu betrachten. Warum etwas wie wirkt oder auch nicht (Output) kann nur zufriedenstellend mit einem umfassenderen Blickwinkel, der die neuronalen Grundlagen miteinbezieht, verstanden werden. Wir müssen umdenken und aufhören zu versuchen – vor allem im Athletiktraining – einen mangelhaften Output stets über Output zu korrigiern!!
Daher hier auch eine eher traurige Nachricht: es ist leider nicht möglich allgemeine, von den individuellen und situativen Bedingungen getrennte „Neuroathletik-Übungen“ für diese-oder-jene Problematik zu zeigen, und ich glaube jeder der anderes behauptet erzählt nicht die volle Wahrheit, bzw. postuliert dies wohl eher von seinem derzeitigen Wissensstand. Hier auch noch einmal die Erinnerung: Neuroathletik beschreibt in der zur Zeit wirr boomenden Neurowelt, insbesondere im Internet (es ist wirklich von amüsant bis zu unfassbar vermessen was da so alles passiert), ein sehr spezifisches Arbeitsfeld im Leistungssport und ist weder eine Ausbildung noch ein allgemeines Synonym für Training mit neuronal basierten Inhalten oder Übungen. So gerne wir euch helfen würden, denn wir werden hierauf immer wieder angeschrieben: ohne individuelles, situatives und problemabhängiges Testen wissen wir nicht genau was, entweder innerhalb der eingehenden Signale, deren Integration, Interpretation und Entscheidung, oder aber im Output genau dazu geführt hat, dass der Zustand so ist, wie er ist. Das Gehirn ist nunmal komplex. Darum gibt es bei uns auch nicht „die eine Übung“ um den Zustand zu verändern. Krasse Übungen für dieses-oder-jenes gibt es eher in der Welt der symptomorientierten Fitness-, Therapie- und Athletikwelt, leider nicht in einer neurozentrierten Herangehensweise.
Quality Matters!